1. Definition:
Frühförderung ist ein pädagogisches Angebot zur frühestmöglichen, ganzheitlichen Förderung entwicklungsverzögerter, behinderter oder von Behinderung bedrohter Kinder sowie der Begleitung, Beratung und Unterstützung deren Familien. Dieses Anliegen schließt, laut Richtlinien des Amtes der NÖ-Landesregierung, nicht nur die direkte Arbeit mit dem Kind, also Förderung im Sinne einer Entwicklungsanregung, sondern auch ein Begleiten, Beraten und Unterstützen der Eltern mit dem Ziel, ihre Kompetenz zu stärken, mit ein. Die Arbeit ist situationsorientiert, zielgerichtet, flexibel und lustbetont.
1.1. Beginn, Dauer und Ende
Frühförderung kann ab der Geburt des Kindes in Anspruch genommen werden. Bezogen auf das Prinzip der Freiwilligkeit erfolgt die Kontaktaufnahme durch die Eltern mit der zuständigen Frühförderstelle nach Diagnose einer Behinderung oder drohenden Behinderung bzw. ab Feststellung einer Entwicklungsstörung (-auffälligkeit, -abweichung). Im Sinne einer präventiven Entwicklungsförderung sollte Frühförderung so bald als möglich (daran anschließend) beginnen.
Das Angebot der Frühförderung endet auf Wunsch der Eltern oder mit Eintritt des Kindes in eine Pädagogische Einrichtung, z.b. Kindergarten, jedenfalls aber bei Schuleintritt bzw. ab dem Zeitpunkt der Befreiung von der allgemeinen Schulpflicht. Eine Übergabe an die betreuende Pädagogin sowie ein Abschluss der Familienbegleitung kann mittels einer Übergangsregelung innerhalb der ersten drei Monate erfolgen (3-2-1 Regelung). Wird ein Kind stationär in einer Einrichtung aufgenommen, so endet die Frühförderung, es ist jedoch möglich parallel zur stationären Betreuungsform einen Übergangszeitraum welcher nicht mehr als 3 Monate betragen sollte, zu beanspruchen.
1.2.Ort der Frühförderung
Im Sinne einer kindgemäßen und individuellen Begleitung der Familie ist die optimale Betreuung durch die Frühförderung das häusliche Umfeld. Ergänzend kann Frühförderung auch ambulant in therapeutischen Einrichtungen, im Rahmen der Begleitung zur Therapie oder ärztlichen Untersuchungen sowie zur Übergabe in die nächste betreuende Einrichtung erfolgen.
2. Qualifikation:
Die Auswahl und Anstellung zur FrühförderIn obliegt dem jeweiligen Träger, um die Qualität der Frühförderung zu gewährleisten, sollten jedoch nur dafür speziell ausgebildete Personen diese Tätigkeit ausüben. Voraussetzung für die Befähigung als FrühförderIn ist eine abgeschlossene Berufsausbildung im Rahmen der Ausbildung zur Sonderkindergartenpädagogin (unter Berücksichtigung der fehlenden Inhalte zur Elternarbeit), der Ausbildung zur Interdisziplinären Frühförderin und/oder dem Studium der Sonder-/Heilpädagogik. Für die Betreuung von Kindern, die primär sehgeschädigt sind ist die Begleitung durch speziell für diese Behinderung geschulte Frühförderinnen notwendig. Eine berufliche Praxis von mindestens 2 Jahren in der Arbeit mit Säuglingen und Kleinkindern sowie ein Mindestalter von 25 Jahren, sowie eine persönliche Eignung sollten nachweisbar sein. Regelmäßige Fort- und Weiterbildungen, Literaturstudium sowie Supervision sind wesentliche Voraussetzungen zur Ausübung dieses Berufes.
3. Prinzipien für die Arbeit der Frühförderung
3.1. Familiennähe:
Das Prinzip der Familiennähe meint die Arbeit im gewohnten Umfeld des Kindes, in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit dessen Familie. Die Grundlage des Handelns ist der Dialog mit dem Kind und seiner Familie.
3.2. Freiwilligkeit:
Das Prinzip der Freiwilligkeit bedeutet, dass die Initiative für die Beantragung der Frühförderung und somit der Auftrag für die Betreuung durch die Frühförderung von der Familie ausgeht. Auch bei der Zuweisung von zu betreuenden Familien durch Behörden, wie zb. die Jugendwohlfahrt, sollte dieses Prinzip berücksichtigt werden.
3.3. Frühzeitigkeit:
Das Prinzip der Frühzeitigkeit beruht auf der Annahme, dass entscheidende Weichen für die Entwicklung der Fähigkeiten und der Persönlichkeit eines Menschen in seiner Frühen Kindheit gestellt werden. Daher ist es wichtig, das Kind so bald als möglich, das heißt vom Zeitpunkt des Festsstellens oder der Formulierung des Verdachtes einer drohenden Abweichung vom normalen Entwicklungsverlauf, zu fördern.
3.4. Ganzheitlichkeit:
Das Prinzip der Ganzheitlichkeit betrachtet das Kind als Gesamtpersönlichkeit und die Familie als System. Es beruht auf einem bestimmten Menschenbild, nämlich der Einzigartigkeit und Unverkennbarkeit des Kindes, der Nicht-Reduzierbarkeit von Problemlagen auf Fakten und meint eine offene und gewährende Haltung im Umgang mit dem Kind.
3.5. Interdisziplinarität:
Das Prinzip der Interdisziplinarität meint den Austausch von Erfahrungen und Beobachtungen mit verschiedenen Fachleuten (TherapeutInnen, PsychologInnen, MedizinerInnen, PädagogInnen, usw.). Ebenso umfasst es die Zusammenarbeit im Frühförderteam.
3.6. Kontinuität:
Das Prinzip der Kontinuität besteht darin, dass Frühförderung möglichst nur von ein und derselben Person in regelmäßigen Abständen durchgeführt wird. Dies bildet die Grundlage für Vertrauen, Sicherheit und partnerschaftliche Zusammenarbeit in der Familie, eine gut funktionierende Zusammenarbeit sollte nicht ohne wesentliche Gründe unterbrochen werden.
3.7. Kooperation:
Unter dem Prinzip der Kooperation versteht man die Ergänzung von fachlicher Kompetenz auf Seite der Frühförderin und dem individualisierten Wissen und Verstehen auf Seiten der Eltern.
3.8. Schweigepflicht:
Das Prinzip der Schweigepflicht gewährleistet der Familie die Sicherheit, dass persönliche Daten und Gesprächsinhalte nicht ohne ihre Zustimmung an außenstehende Personen weitergegeben werden.
der Familie in ihrer besonderen Situation zu ermöglichen, vorhandene Ressourcen sowie elterliche Kompetenzen wahrzunehmen und zu nutzen.
eine Eingliederung des betreuten Kindes und seiner Familie in das umgebende soziale Umfeld, um Ausgliederung und Benachteiligung zu verhindern oder zu vermindern.
5.1. Aufgaben der Frühförderin in der Familie
5.1.1. Kontaktaufnahme mit der Familie in Form eines Erstgesprächs
– Anamnese und Gespräch mit den Eltern über mögliche Inhalte der Frühförderung, Erwartungen und Vorstellungen der Eltern, Entwicklung des Kindes, bisherige
Therapien usw.
– Gemeinsame Entscheidungsfindung, ob und in welchem Rahmen Frühförderung für die Familie sinnvoll sein kann und festlegen organisatorischer Rahmenbedingungen (Zeit, Ort, Raum, Verrechnung, Häufigkeit)
5.1.2. Förderung des Kindes
– Beobachtung des Kindes in seinem Spiel, seinen Interaktionen mit dem jeweiligen sozialen Umfeld zur Erfassung seiner Stärken, Vorlieben und Fähigkeiten.
– Kontinuierliches Erarbeiten und Reflektieren individueller Förderschwerpunkte unter Berücksichtigung der Möglichkeiten und Interessen des Kindes in Absprache mit der Familie.
– Die Konkrete Förderung des Kindes erfolgt individuell und ganzheitlich und umfasst alltagsbezogene Spiel- und Erfahrungsangebote in den Bereichen: Motorik, Wahrnehmung, Kommunikation, Persönlichkeit, Spielverhalten und Selbständigkeit.
– Das Kind soll ganzheitlich gefördert werden und für seine Weiterentwicklung und Entfaltung positive Anregungen erhalten.
– Im Sinne einer Prävention von Sekundärbehinderungen sollten Funktionsbeeinträchtigungen minimiert oder soweit als möglich kompensiert werden. Dabei bezieht die Frühförderin therapeutische Aspekte in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Therapeuten des Kindes und der Familie mit ein.
5.1.3. Beratung und Begleitung der Familie
– Stärkung der elterlichen Erziehungskompetenz, Information über die Entwicklung, Entwicklungschancen und die Behinderung des Kindes
– Unterstützung der Eltern, ihr Kind als Persönlichkeit wahrzunehmen und es mit seinen Stärken und Schwächen anzunehmen
– Begleitung der Eltern im Trauerprozess, thematisieren und Zeit sowie Raum für Gespräche anbieten
– Unterstützung und Beratung der Familie bei Veränderungen in deren Lebenssituationen (z.b. Geburt eines Geschwisterkindes)
– Sensibilisierung der Eltern für die Bedürfnisse der Geschwisterkinder
– Beratung der Eltern bei der entwicklungsfördernden Gestaltung des familiären Alltags, Veränderungen und eventuellen Problemen, die sich aus der besonderen
Lebenssituation mit dem Kind ergeben
– Anregung und Hilfestellung für die Eltern bei der Gestaltung des Spiel- und Erfahrungsraumes des Kindes
– Empfehlung von Spielmaterial entsprechend dem Entwicklungsstand des Kindes
– Aufklärung über verschiedene therapeutische Maßnahmen und Möglichkeiten, und anbieten von themenbezogener Literatur
– Unterstützung der Eltern bei der Suche nach ergänzenden und weiterführenden Maßnahmen beziehungsweise Einrichtungen, z.b. Kindergarten und Schule
– Information beziehungsweise Weitervermittlung der Eltern bei sozialrechtlichen, rechtlichen und finanziellen Fragen
– Eine gemeinsame Reflexion, rückblickend bezogen auf den bisherigen Prozeß (was hat die Zielerreichung möglich gemacht und was verhindert) und vorausschauend zur Formulierung neuer gemeinsamer Ziele
5.2. Aufgaben der Frühförderin außerhalb der Familie
5.2.1. Kooperation:
Die Abklärung und Förderung des Kindes sowie die Beratung und Begleitung der Eltern erfordert eine Kooperation zwischen den Frühförderstellen und anderen Einrichtungen. Insbesondere ist eine Kooperation mit TherapeutInnen, ÄrztInnen, Krankenhäusern, Kindergärten, Schulen, Behörden, Therapie- und Förderzentren sowie weiterführenden Einrichtungen und Anbietern von Hilfs- und Heilmittelbehelfen erforderlich.
5.2.2. Vor- und Nachbereitung:
Um die Qualität der Frühförderarbeit bei den Familien sicherzustellen, ist eine entsprechende Vor- und Nachbereitung der Einheiten erforderlich und umfasst die Auswahl und Vorbereitung des Spielmaterials, die Planung und Reflexion der Frühförderinhalte, das Besorgen und Lesen von Literatur sowie Sammeln von themenbezogenen Informationen für die Weitergaben an die Eltern, das Erstellen von Fördervorschlägen, Förderplänen, Entwicklungsberichten, Abschlußberichten sowie Arbeitsberichten und das Vorbereiten von Gesprächen.
Um den europäischen Richtlinien zu entsprechen und eine gemeinsame Fachsprache im interdisziplinären Austausch zu ermöglichen, erscheint die „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation“ (WHOICF) im Rahmen der Frühförderung als ein neues geeignetes Instrument.
5.2.3. Organisatorische Tätigkeiten:
Neben den frühfördereinheitsbezogenen Tätigkeiten erfüllt die Frühförderin allgemeine organisatorische Aufgaben wie Telefonate, Terminvereinbarungen sowie das Führen von Leistungsnachweisen, Kilometerabrechnungen, usw. sowie die Pflege, Reperatur und Neuanschaffung von Materialien.
5.2.4. Team:
Regelmäßig stattfindende Teamsitzungen beinhalten die Intervision und Fallbesprechung, fachliche Diskussionen, interne Fortbildung sowie organisatorische Angelegenheiten.
5.2.5. Supervision:
Regelmäßige Supervision ist im Sinne einer ständigen Auseinandersetzung mit Zielen, Inhalten und Möglichkeiten der eigenen Arbeit und der Erhaltung der persönlichen Ressourcen der einzelnen Frühförderin erforderlich.
5.2.6. Öffentlichkeitsarbeit:
Die Frühförderin leistet ergänzend zur Trägereinrichtung Öffentlichkeitsarbeit in Form von Kooperation und Information bei ÄrztInnen, Kindergärten, Schulen, Selbsthilfegruppen, usw.
5.2.7: Fortbildung:
Im Sinne der Qualitätssicherung ist eine kontinuierliche Fortbildung notwendig. Diese muss auf Eigenintiative der einzelnen Frühförderin erfolgen, die dafür notwendigen
Rahmenbedingungen sind von der Trägereinrichtung zu schaffen.
6. Berufsspezifische Rahmenbedingungen:
6.1. Räumlichkeiten:
Eine geeignete Infrastruktur ist notwendig, um sowohl die ambulante Betreuung zu ermöglichen, als auch um Raum für Besprechungen, Teamarbeit und Supervision aber auch, in Absprache mit der Trägerorganisation, ein erweitertes Betreuungsangebot wie Spielkreis, Eltern- oder Geschwistergruppen u.Ä. zu gewährleisten. Außerdem sollte genügend Platz für die Unterbringung des Spiel- und Fördermaterials sowie der Fachliteratur und Dokumentation vorhanden sein.
6.2. Kostenübernahme:
Frühförderung wird gemäß §18 NÖ SHG (Hilfe zur Erziehung und Schulbildung) gewährt. Zuständig zur Entscheidung über Anträge auf Frühförderung ist daher gemäß § 53 Abs. 1 NÖ SHG die Landesregierung.
Die Abrechnung der Fördereinheiten ist vom Träger monatlich zu erstellen und der Abteilung VII/1 des Amtes der NÖ Landesregierung vorzulegen. Maximal können 40 Einheiten für ein Jahr bewilligt werden, eine Frühfördereinheit beinhaltet 90 min. unmittelbare Arbeit mit dem Kind bzw. der Familie. Die Kosten werden durch vertraglich vereinbarte Kostensätzte des Landes an den Träger erstattet. Bescheidmäßig den unterhaltspflichtigen Angehörigen vorgeschriebene Kostenbeiträge werden durch den Träger im Namen und auf Rechnung des Landes eingehoben.
6.3. geeignetes Spiel- und Fördermaterial:
Spiel- und Fördermaterialien abgestimmt auf die speziellen Bedürfnisse der betreuten Kinder sowie deren Geschwister müssen zur Verfügung stehen und bei Bedarf erneuert werden. Der Raum für die ambulante Betreuung sollte mit einer adäquaten Einrichtung ausgestattet sein.
6.4. Fachliteratur:
Ausreichende, interdisziplinäre Fachliteratur in Form von Büchern und anderen Medien (z.b. Internetzugang) muss zur Verfügung stehen und allen Teammitgliedern frei zugänglich sein.
6.5. Gewährleistung der Mobilität:
Für die mobile Form der Frühförderung gilt die tatsächliche Fahrzeit als Arbeitszeit und es werden die tatsächlich gefahrenen Kilometer durch das amtliche Kilometergeld abgegolten oder es werden Dienstfahrzeuge zur Verfügung gestellt. Flexibilität innerhalb der Tourenplanung ist im Sinne der Kontinuität selbstverständlich.
6.6. Einkommen:
Die Einkommenssituation der Frühförderinnen ist Aufgabe des Trägers sollte sich jedoch, im Sinne einer Gleichstellung an den Richtlinien des BAGS-KV orientieren.
7. Berufsverband der FrühförderInnen Niederösterreichs
7.1. Interessensgemeinschaft
Der Verein dessen Tätigkeit gemeinnützig und nicht auf Gewinn gerichtet ist, bezweckt den Zusammenschluss von Frühförderinnen als Plattform einer Interessen- und Standesvertretung aller Frühförderinnen (in Frühförderstellen/Ambulatorien, ambulant/mobil arbeitende Frühförderinnen, wie auch Frühförderinnen von sinnesbehinderten Kindern).
7.2. Autorisiertenliste
Bezogen auf die Heterogenität im Land Niederösterreich und somit auch innerhalb der unterschiedlichen Träger von Frühfördereinrichtungen erscheint eine Vereinheitlichung der Ausbildungskriterien zum Berufseinstieg aus heutiger Sicht nicht sinnvoll.
Die Arbeit im Rahmen der Frühförderung umfasst ein breites Spektrum an Wissen, welches ständig mit den neuesten Erkenntnissen von Forschung adaptiert werden muss. Diese Haltung des „lebenslangen Lernens“ sowohl in Praxis als auch in Theorie ist eine zutiefst pädagogische und ihre Umsetzung obliegt sowohl der einzelnen Frühförderin als auch der sie beschäftigenden Institution. Eine Autorisiertenliste mit der Basis eines Grundprofils von Anforderungen und Wissen über die Richtlinien des Amtes der NÖ Landesregierung (Abteilung VII/1) hinaus erscheint zum heutigen Zeitpunkt als Einschränkung der bunten Frühförderlandschaft Niederösterreichs.
7.3. Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung
Dies umfasst die Aufnahme von Kontakten zu In- und Ausländischen Berufsverbänden sowie die Information und Organisation von Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen.